Wie Sie Ihre guten Umgangsformen an Kinder und Enkel weitergeben

Soziale Kompetenz und gutes Benehmen, die Ihre Kleinen im Lauf der Zeit von Ihnen erlernen, sind wichtiger fürs Leben als das Bankkonto, das Auto oder das Haus, das Sie vererben. Denn gepflegte Umgangsformen sind neben Intelligenz und Bildung eine wichtige Ressource für persönlichen Erfolg. Rüsten Sie Ihren Nachwuchs für eine gute Zukunft! Wie, das zeigt Ihnen dieser Beitrag aus dem .

Gute Umgangsformen sind und bleiben wichtig

„Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“


Dieses Zitat stammt, anders als man vielleicht erwarten könnte, nicht aus jüngster Vergangenheit, sondern von dem griechischen Philosophen (469–399 v. Chr.). Doch die Annahme, dass Umgangsformen an Bedeutung verlieren, ist damals wie heute nicht zutreffend. Gepflegte Umgangsformen gehören einfach dazu, wenn Ihr Kind seinen Platz in der Gesellschaft finden will.
Schon im Privaten umgibt sich niemand gern mit Menschen, die sich aufführen wie die Axt im Walde, die unhöflich sind und sich nicht zu benehmen wissen. Aber auch Arbeitgeber klagen heute verstärkt über die mangelnde soziale Kompetenz und die schlechten Umgangsformen von Bewerbern.
„Wir müssen immer häufiger auf Bewerber verzichten, weil diese Werte vermissen lassen, die in der Vergangenheit von Eltern stärker vermittelt wurden. Dazu gehören für die Arbeit in einem Luxushotel elementare Tugenden wie Disziplin, Eloquenz, Höflichkeit und Zuverlässigkeit“, zitiert „Die Welt“ den Chef eines renommierten Berliner Hotels. „Für manche ist es nicht einmal selbstverständlich, die Kollegen zu grüßen.“
Aber auch andere Branchen erwarten von ihren Mitarbeitern zumindest ein Mindestmaß an Benehmen. Als Eltern und Großeltern wünschen wir unseren Kindern und Enkeln eine glückliche Zukunft: Freunde, ein stabiles soziales Umfeld, einen guten Job, einen Platz in der Gesellschaft. Das nötige Rüstzeug dazu müssen wir ihnen auf den Weg mitgeben. Dazu gehört auch, ihnen gute Umgangsformen zu vermitteln.

Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr

Bringen Sie Ihren Kindern bei, was Sie für wichtig erachten, und beginnen Sie damit am besten jetzt sofort, denn nichts ist so schwierig, wie schlechte Gewohnheiten abzulegen. Wer sich erst einmal angewöhnt hat, das hässliche „Sch…“-Wort zu gebrauchen, auf den Boden zu spucken oder zu schmatzen, tut sich schwer, sich diese Verhaltensweisen wieder abzugewöhnen.
Mit der Zeit nämlich werden daraus Automatismen, die sich nicht mehr bewusst steuern lassen. Statt nachzudenken, verhält man sich nur noch und merkt gar nicht mehr, was man da eigentlich sagt oder tut.
Dann kommt es möglicherweise vor, dass man als Erwachsener in einer wichtigen Konferenz sitzt und gedankenverloren in der Nase popelt. Sie können sich die Blicke der anderen sicher vorstellen: „Ist das eklig!“ So ein Eindruck lässt sich kaum wiedergutmachen. Helfen Sie deshalb Ihren Kindern und Enkelkindern, schlechte Gewohnheiten loszuwerden, bevor sie ihnen in Fleisch und Blut übergehen!

Die 3 Grundpfeiler für gutes Benehmen

Was genau sollten Sie an Ihre Kinder und Enkelkinder weitergeben? Darüber lässt sich natürlich trefflich streiten.
Die Großeltern, Eltern, Paten und Kinderlosen von heute wurden nach der jeweiligen pädagogischen Großwetterlage ihrer Zeit erzogen: Die einen mussten sich innerhalb eng gezogener Grenzen einem fast militärischen Drill beugen, die anderen hatten nach antiautoritärem Prinzip ihre Grenzen selbst zu suchen und zu finden. Entsprechend unterscheiden sich heute die Erwartungen an das Verhalten der nachfolgenden Generationen.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gilt folgende Einschätzung: Kinder brauchen für ihre Entwicklung verlässliche Strukturen. Diese wiederum müssen für eine flexible Umsetzung offen sein.
Dem Anspruch an zeitgemäße Erziehung werden Sie gerecht, wenn Sie diese 3 Grundpfeiler beachten:

Grundpfeiler Hintergrund Motiv
1. Werte

„Werte sind die Basis für alles!“

Überlegen Sie, welche Werte Ihnen wichtig sind und wie Sie diese Ihrem Kind näher bringen können. Ohne Werte sind Manieren nur wertlose Fassaden!

Werte geben die Richtung vor und bieten Orientierung
2. Wissen Hier geht es um Informationen und Fakten: Warum ist etwas so, wie es ist? Warum blieb die Dame früher bei der Begrüßung sitzen und heute nicht mehr? Alles, was Ihr kleiner Liebling versteht, kann er leichter annehmen! Wissen schafft Verständnis
3. Fähigkeiten Hier geht es um Praktisches: Genau wie im Sport müssen die Kleinen lernen, was im täglichen Leben ein Foul ist und wie man neues Wissen anwendet. Gute Sportler haben zur Motivierung einen Coach; Ihre Sprösslinge haben Sie! Übung macht den Meister; Training erzeugt Sicherheit.

 

Wie Sie gute Umgangsformen am besten weitergeben

 

1. Vermitteln Sie Werte

Nur wer brauchbare Wertmaßstäbe oder Messlatten hat, ist in der Lage, Ereignisse zu bewerten und sich im Leben zu orientieren. Geben Sie Ihrem Kind für diese schwierigen Aufgaben das nötige Werkzeug an die Hand.
Werte lassen sich in 4 Kategorien unterteilen:

Werte

Leistungswerte Kommunikationswerte
B
e
i
s
p
i
e
l
e
  • Leistungsbereitschaft
  • Flexibilität
  • Kreativität
  • Qualität
  • Effizienz
  • Respekt
  • Offenheit
  • Vertrauen
  • Anerkennung
  • Mut
Soziale Werte Ethische Werte
B
e
i
s
p
i
e
l
e
  • Loyalität
  • Teamgeist
  • Konfliktfähigkeit
  • Partnerschaft
  • Solidarität
  • Fairness
  • Gemeinwohl
  • Wahrhaftigkeit
  • Sozialverträglichkeit
  • Anständigkeit

Quelle: Fairness-Stiftung, Dr. N. Copray

Überlegen Sie: Welche dieser Werte möchten Sie Ihrem Kind vermitteln? Und noch viel spannender: Wie möchten Sie das erreichen?

-Experten-Wissen:
von Meike Slaby-Sandte

Welche Werte sind Ihnen wichtig?

  • Für mich ist besonders wichtig, offen und unvoreingenommen auf andere zuzugehen. Das lebe ich meinen Kindern vor, indem ich z. B. jeden freundlich grüße und nicht erst groß überlege, wer einen Gruß wert ist und wer nicht.
  • Natürlich hat bei Kindern die Offenheit ihre Grenzen, wo es um die Sicherheit geht. Kinder sollen nicht gleich jedem Wildfremden ihren Namen verraten. In Begleitung eines Erwachsenen ist es aber schön, wenn das Kind auch Fremden offen in die Augen schaut und sich unbefangen vorstellt: „Hallo, ich bin Maja.“
  • Wenn ein Kind von klein auf gewohnt ist, offen auf andere Menschen zuzugehen, wird es auch später in der Schule und im Beruf keine Schwierigkeiten haben, mit Menschen umzugehen – auch mit solchen, die anders sind als es selbst, mit Behinderten z. B. oder mit Ausländern.

2. Schaffen Sie Spielregeln

„Spielregeln“ ist ein kindgerechter Begriff: „Mau Mau“ oder „Mensch ärgere dich nicht“ funktionieren auch nicht ohne:
Spielregeln

  • werden zu Leitlinien. Die gesetzten Grenzen sind keine Einengung, sondern dienen als Orientierungsrahmen für Ihr Kind.
  • geben Halt. In Situationen, in denen Ihr Kind einmal unsicher ist, kann es sich an seine Regeln halten. So werden Sicherheit, Geborgenheit und Selbstvertrauen erzeugt.
  • fördern Verständnis und Akzeptanz. Ihre Kleinen lernen, auch fremde Werte und Verhaltensweisen zu respektieren. Wie verschiedene Spiele haben z. B. auch unterschiedliche Länder ihre eigenen Regeln. Diese sind nicht besser oder schlechter, sondern anders.

Spielregeln für das tägliche Miteinander können z. B. sein:

  • Wir achten und respektieren uns gegenseitig. Deshalb reden wir in einem ruhigen und freundlichen Ton miteinander und schreien uns nicht an.
  • Mahlzeiten dienen auch der gemeinsamen Unterhaltung. Der iPod bleibt so lange ausgeschaltet.
  • Wir nehmen Rücksicht auf andere. Deshalb warten wir an der Bushaltestelle, bis alle ausgestiegen sind, bevor wir selbst einsteigen, und stehen für jemanden auf, der alt oder krank ist und unseren Sitzplatz nötiger hat als wir.
  • Wir achten die Natur und werfen keinen Abfall in den Badesee!

Eine der Spielregeln aus meiner eigenen Kindheit lautete: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu.“ Da niemand gern schlecht behandelt wird – auch Ihr Kind nicht – und jeder weiß, welche Behandlung er sich von anderen wünscht, kann Ihr Kind an diesem Leitsatz leicht sein eigenes Verhalten überprüfen und selbst einschätzen, ob es sich gerade angemessen oder total danebenbenimmt.

3. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran

Werte gibt man am besten subtil, also „zwischen den Zeilen“ weiter: Leben Sie vor, was Sie von anderen erwarten, denn sonst sind Sie unglaubwürdig.
Wenn Sie Ihren Nachwuchs dazu anhalten, nicht zu lügen, sich selbst aber bei einem unliebsamen Anruf am Telefon verleugnen lassen, obwohl Sie offensichtlich anwesend sind, wird Ihr Kind sich zu Recht fragen, wie ernst es Ihnen mit der Wahrheit ist. Warum soll es sich an Regeln halten, die für Sie nicht gelten?
Wenn Sie selbst Ihr Kind im Zorn anschreien, wird es auch laut werden, wenn es sich ärgert. Spuckt Papa auf den Boden, statt ein Papiertaschentuch zu benutzen, wird der Nachwuchs ihm nacheifern und diese eklige Angewohnheit ebenfalls annehmen.
Achten Sie deshalb auf Ihr eigenes Verhalten! Das gilt übrigens auch für Ihre Wortwahl.

4. Lehren Sie Ihr Kind, Werte und Regeln kritisch zu hinterfragen

Ihr Kind erziehen Sie nicht allein. Auch Werbung, Gleichaltrige, Schule und Medien legen sich ordentlich ins Zeug, um zu beeinflussen – nicht immer in Ihrem Sinne:
Was ist gut, in, cool, klasse oder hip?

  • Das schrille Nasen-Piercing oder die edlen Designerohrringe?
  • Der schlichte Pulli von Mama oder das bauchfreie Bustier der besten Freundin?
  • Die brave Klassenstreberin oder der rücksichtslose Rebell?

Die Entscheidung wird Ihr Kind höchstwahrscheinlich ohne Sie treffen. Sie können ihm allerdings beibringen, Werte und Regeln kritisch zu hinterfragen und die Orientierung zu behalten.
Auch Ihre eigenen Werte und Regeln sollten einer solchen kritischen Hinterfragung standhalten, denn manches, was in Ihren Kindertagen noch als richtig galt, ist inzwischen veraltet:
Junge Menschen von heute sollten Sie z. B. nicht mehr dazu anhalten, Unterwürfigkeit zu demonstrieren. Knicks und Diener sind – außer bei offiziellen Zeremonien an Königshäusern – abgeschafft. Kinder dürfen Wünsche äußern, sie dürfen sprechen, ohne ausdrücklich dazu aufgefordert zu sein. Sie dürfen Speisen ablehnen. Sie dürfen sich wehren, wenn Erwachsene ihnen Unrecht tun, z. B., wenn sie sie in einer Warteschlange überholen.
Auch geschlechtsspezifische Unterschiede im Verhalten zu machen ist ein alter Zopf. Ein Junge darf Gefühle zeigen, ein Mädchen darf sich durchsetzen. Ob Mädchen oder Junge, beide stehen bei einer Begrüßung auf. Beide geben im voll besetzten Bus ihren Platz frei, wenn eine gebrechliche Person einsteigt, ob Frau, ob Mann. Beide halten eine Tür auf, wenn eine andere Person ihnen folgt. Beide übernehmen Hilfsdienste im Haushalt; deren Ausmaß wird vom Alter und von den Fertigkeiten bestimmt und nicht vom Geschlecht.
Überprüfen also auch Sie von Zeit zu Zeit die Regeln, die Ihnen als Kind und im Laufe Ihres Lebens mitgegeben wurden, und werfen Sie Überflüssiges und Überholtes über Bord.

5. Suchen Sie sich Verbündete

Bei der Vielzahl der Einflüsse, denen Ihr Kind ausgesetzt ist, ist es gut, sich Verbündete zu suchen, die mit Ihnen am gleichen Strang ziehen. Sehen Sie sich doch einmal um: Was haben die Menschen in Ihrem sozialen Umfeld in puncto Umgangsformen, Sozialkompetenz und Stilsicherheit zu bieten?
Onkel Georg z. B. …
Er ist ein Kavalier der alten Schule. Er weiß sehr gut über den Sinn und die Herkunft von Umgangsformen Bescheid: warum man den Hut hebt, wenn man einen Bekannten grüßt, warum die Damen früher bei der Begrüßung sitzen geblieben sind. Ihn können Sie bitten, Ihrem Kind hin und wieder etwas darüber zu erzählen.
Oder Ihre Freundin Gisela …
Sie hat eine gastronomische Ausbildung und ist mit Tischsitten bestens vertraut. Sie weiß, wie man mit Bravour ein kompliziertes 6-Gänge-Menü besteht und wie ein Hummer fachgerecht zerlegt wird. Laden Sie Gisela zu sogenannten Motto-Abenden ein: „Heute essen wir wie die Chinesen, Italiener, Inder …“ So lernt Ihr Kind spielerisch die Essgewohnheiten anderer Kulturen kennen und erfährt nebenbei etwas über gute Tischmanieren.

6. Auch Kleinigkeiten können wichtig sein

Falls Ihnen spontan keine Stärken und Schwächen einfallen, beobachten Sie in der kommenden Zeit einmal dezent Ihre Liebsten. Richten Sie dabei Ihr Augenmerk beispielsweise auf Schwerpunkte wie

  • Kommunikation (verbale und nonverbale),
  • Tischmanieren,
  • Begrüßung, Verabschiedung,
  • sozialen Umgang im näheren Umfeld/mit Fremden,
  • Danken und Bitten,
  • Äußerungen von Kritik, Umgang mit Konflikten/ Querulanten und mit Emotionen (z. B. mit Ärger: Fallen Schimpfwörter?),
  • Äußerungen über Dritte in deren Abwesenheit.

-Tipp: Worauf es ankommt, ist der gute Draht zu Ihrem Kind

Denn nur von Menschen, die Ihr Kind schätzt und mag, wird es auch etwas annehmen. Onkel Georg ist als Mitstreiter also ungeeignet, wenn Ihre Kinder ihn hassen. Dann ruft er allenfalls ein müdes Lächeln, wenn nicht gar offene Rebellion hervor.

7. Geben Sie Ihr Wissen weiter

Verraten Sie Ihren Kindern und Enkelkindern, was Sie über moderne Umgangsformen wissen. Das können sowohl praktische als auch theoretische Dinge sein. Sie als Leser des sind ja hier Experte bzw. Expertin!
-Beispiele für praktisches Wissen

  • wie ein Fisch korrekt zerlegt wird
  • dass Visitenkarten nicht ungelesen weggesteckt werden
  • welche Begrüßungsregeln gelten
  • was einen guten Briefstil auszeichnet
  • wie eine Feier organisiert wird
  • wie ein Krawattenknoten gebunden wird

-Beispiele für theoretisches Wissen

  • warum man nicht mehr „Gesundheit“ sagt
  • wer Freiherr Knigge war
  • was ein Dresscode ist
  • warum es moderne und traditionelle Regeln gibt
  • welche Regeln in anderen Kulturen gelten

Dass ein großer Bedarf an Etikettewissen herrscht, zeigt ein Test, der in der Oberstufe eines hessischen Gymnasiums durchgeführt wurde. 30 junge Männer standen dort vor der Aufgabe, einen Krawattenknoten zu binden. Dazu in der Lage waren gerade einmal 2!
Geben Sie also unbedingt weiter, was Sie im Laufe Ihres Lebens gelernt haben. Dadurch geben Sie Ihrem Kind Sicherheit und ersparen ihm viele Peinlichkeiten.

8. Erklären Sie auch das Warum

Kinder akzeptieren Regeln leichter, wenn sie ihren Sinn verstehen. Wichtig ist deshalb, dass Sie nicht nur die Regel an sich, sondern auch ihren Sinn vermitteln:

Kind: „Warum soll ich die Hände aus den Taschen nehmen, wenn ich mit jemandem spreche? Das tut doch keinem weh und ist bequem für mich!“

Eltern: „Der Ursprung dieser Regel ist alt. Man zeigte dem anderen damit früher, dass man keine bösen Absichten hatte. Die Hände waren gut sichtbar und das Gegenüber musste keine Angst haben, dass man plötzlich eine Waffe zog. Heute zeigt man damit, dass man sich auf den anderen konzentriert und ganz bei der Sache ist. Es ist sozusagen ein Zeichen des Respekts vor dem anderen. Und man wirkt dadurch offener und selbstbewusster.“

9. Trainieren Sie mit Ihrem Kind

Dabei geht es nicht darum, Kinder wie Tiere zu dressieren oder Erziehung in Form von Projektmanagement zu betreiben. Es geht vielmehr um spielerische Verhaltenskorrekturen, ohne die Ihr Kind später leiden würde.
Wenn die Zähne Ihres Kleinen schief wachsen, würden Sie mit ihm doch zum Kieferorthopäden gehen, oder? Je nachdem, wie gravierend die gesundheitlichen und ästhetischen Auswirkungen wären, würden Sie sich mit Ihrem Kind gemeinsam für oder gegen eine Zahnspange entscheiden.
Bei Umgangsformen ist es genauso. Überlegen Sie, welche Auswirkungen das Verhalten Ihres Kindes auf seine Zukunft haben können. Entscheiden Sie, ob Sie mit ihm daran arbeiten möchten oder nicht.
Folgende Verhaltensweisen sind z. B. gemeint:

  • Nägel kauen
  • in der Nase bohren
  • fluchen
  • auf die Straße spucken
  • sich nicht bedanken
  • nicht grüßen
  • andere Kinder schubsen
  • andere beleidigen

Insbesondere dann, wenn Ihr Kind andere Menschen körperlich oder emotional verletzt, sind Verhaltenskorrekturen wichtig. Genau wie auf dem Fußballplatz muss es dabei erst lernen, was im täglichen Leben ein Foul ist. Denn in den seltensten Fällen handelt es sich um böse Absicht, wenn ein Kind sich danebenbenimmt.Der große Knigge-Beispiel: Der kleine Leon etwa fiel neulich beim Geburtstag einer Kollegin unangenehm auf, als er seinen Löffel mit voller Wucht in den Teller platschen ließ und nicht nur das Tischtuch, sondern auch Tischnachbarn mit Essensresten vollspritzte. Am Vormittag hatte Leon mit seinen Eltern zusammen eine lustige Kindersendung angesehen, bei der während einer Feier am festlich gedeckten Tisch ein Missgeschick nach dem anderen passiert war und alle schallend gelacht hatten – auch über das kleine Kind, das wütend und laut kreischend auf sein Essen eingeschlagen hatte …

Gerade Kleinkinder können vieles noch nicht richtig einordnen. Das Lachen der Familie über eine lustige Szene im Fernsehen, die aus der Perspektive guter Umgangsformen eine Katastrophe ist, verführt Ihr Kind vielleicht zu falschen Schlussfolgerungen – so wie Leon. Deshalb ist er noch lange kein ungezogener Bengel. Er muss einfach noch viel lernen. Weil noch kein Meister vom Himmel gefallen ist, gehen Sie dabei am besten geduldig und behutsam vor.

10. Holen Sie Ihr Kind ab

Ihr Kind, das eine einzigartige Persönlichkeit ist, hat im Laufe seines Lebens schon sehr viel gelernt, auch im Bezug auf Umgangsformen. Deshalb ist es wichtig, sich erst einmal einen kurzen Überblick über seine Fähigkeiten und sein Wissen zu verschaffen:

  • Welche Umgangsformen beherrscht Ihr Kind schon gut?
  • Welche nur unzureichend?
  • Was fällt Ihm leicht? Was schwer?
  • Auf welche Art der Motivation und Ansprache reagiert es am besten? Welche wirkt sich eher blockierend aus?
  • Wie viel Zeit benötigt Ihr Sprössling, um bestimmte Sachen zu lernen?

Holen Sie Ihr Kind dort ab, wo es steht, und überfordern Sie es nicht.

11. Entscheiden Sie, was wichtig ist

Machen Sie sich bewusst, was Ihnen besonders am Herzen liegt. Was möchten Sie Ihrem Nachwuchs beibringen und vermitteln? Zweifelsfrei werden Ihnen mehrere Punkte einfallen, denn Umgangsformen sind sehr vielfältig.
Hier einige Anregungen:
Das können schon Kleinkinder lernen

  • nach jedem Toilettengang und vor dem Essen die Hände zu waschen, beim Husten die Hand vor den Mund zu halten, beim Essen nicht mit den Fingern in Schüsseln zu greifen oder Angefasstes wieder zurückzulegen. „Bazillen sind überall. Wenn du dich und andere schützt, bleibst du und die anderen eher gesund.“
  • Essen sachgemäß zu behandeln: „Das ist kein Spielzeug.“
  • Sich gerade zu halten, beim Gehen die Füße zu heben: „Die Haltung beeinflusst die eigene Stimmung.“
  • Beim Sprechen Blickkontakt anzubieten und auszuhalten: „So weiß das Gegenüber, dass du es ernst meinst.“
  • Bitte und Danke zu sagen und einen Gruß freundlich zu erwidern: „Dann sind andere auch nett zu dir.“
  • Wörter korrekt zu verwenden – kein „Happihappi“ statt „Essen“ oder „der Onkel“ statt „Herr Meier“: „So versteht dich jede und jeder.“
  • Die Freiräume und die Grenzen von Eltern, Geschwistern und Spielkameraden zu respektieren, eine Mittagsruhe beispielsweise oder Hausaufgabenzeiten: „Du möchtest auch manchmal, dass wir dich in Ruhe lassen.“
  • Lebewesen zu achten und z. B. Haustiere nicht unnötig zu quälen: „Das tut weh.“
  • Mein und Dein zu unterscheiden und mit eigenen und fremden Gegenständen sorgsam umzugehen: „Kaputt ist unbrauchbar.“
  • Für die Dauer mindestens eines Ganges bei Tisch sitzen zu bleiben: „Wir essen gemeinsam.“

Das können Sie Ihren Kindern ab dem Grundschulalter abverlangen

  • Die Anreden Du und Sie zu unterscheiden
  • Fremden höflich Auskunft zu geben, sich aber nicht ausfragen zu lassen. „Das möchte ich nicht“ weist ihnen die Grenze
  • Freundlich, aber bestimmt darauf zu bestehen, zu Wort zu kommen: „Ich möchte dazu etwas sagen.“
  • Andere ausreden zu lassen, nicht zu unterbrechen
  • Bei Patzern um Entschuldigung zu bitten: „Das habe ich nicht gewollt, entschuldigen Sie bitte!“
  • Ihre Kleidung zu schonen
  • Geschmack und Stil zu entwickeln: Welche Farben und Muster passen zusammen, welche Kleidung passt zu welchem Anlass?
  • Im Bus aufzustehen für sichtlich Ältere, Kranke, Schwangere, schwer bepackte Personen: „Setzen Sie sich bitte!“
  • Das Handwerkszeug bei Tisch ordnungsgemäß zu verwenden: das Besteck korrekt zu halten, ein Glas mit einer Hand zu heben, eine Tasse am Henkel anzufassen, die Serviette zu benutzen
  • Geräuschlos zu essen
  • Sich an Abmachungen zu halten, Eltern über Aufenthaltsorte zu informieren, pünktlich zu sein
  • Für größere Geschenke – wie solche zur Kommunion/Konfirmation oder zum Geburtstag – schriftlich zu danken
  • In der Familie und in der Nachbarschaft kleine Dienste wie Blumen gießen zu übernehmen

12. Wählen Sie kindgerechte Strategien

Bei manchen Dingen greift man am besten sofort konsequent durch, bei anderen ist es klüger, sich in kleinen Schritten dem Ziel zu nähern oder das Kind bei seinem Ehrgeiz zu packen.

Wann Sie sofort Grenzen setzen sollten

Situation Stoppen Sie dieses Verhalten sofort
Gebraucht Ihr Sohn das erste Mal Schimpfwörter? „Drück dich wertschätzend aus! Solche Wörter sind gemein und verletzen andere.“
Fängt er im Supermarkt an zu schreien, weil Sie ihm nichts Süßes kaufen? „Du hast jetzt gar keinen Grund, traurig zu sein. Wir haben noch etwas Schokolade zu Hause, daher kaufe ich dir jetzt keine Süßigkeiten.“
Gibt Ihre Tochter während der Pubertät missachtende, verletzende Antworten? „So nicht! Mir ist wichtig, dass wir beide respektvoll miteinander umgehen.“

Dabei sollten Sie Ihrem Kind immer kurz erklären, warum es etwas nicht sagen oder machen soll und was für eine Wirkung sein Verhalten oder ein bestimmter Satz auf die Person hat, die gemeint ist.
Geben Sie Ihrem Kind auch die Möglichkeit, zu sagen, warum es ein Verhalten gezeigt oder etwas aus Ihrer Sicht Schlimmes gesagt hat. So lassen sich viele Missverständnisse ausräumen und ähnliche Vorfälle für die Zukunft vermeiden.
Vielleicht spielt Ihr Sohn nur deshalb mit dem Essen, weil er eine Aversion dagegen hat? Dann lässt sich leicht Abhilfe schaffen, indem Sie ihn bitten, das doch nächstes Mal einfach zu sagen. Sie als Mutter, Großmutter, Vater oder Großvater können ihm dann eine Alternative anbieten, die er lieber isst.
Vielleicht verzieht Eva sich immer nur deshalb ins Kinderzimmer, sobald die Nachbarin kommt, weil sie deren feuchte Küsse eklig findet? Dann können Sie die Nachbarin dezent darauf aufmerksam machen, dass Eva es nicht mag, geküsst zu werden.
Vielleicht hat Holger das andere Kind nur deshalb geschubst, weil es vorher von ihm provoziert wurde? Dann können Sie mit ihm darüber sprechen, wie man Konflikte auch ohne körperliche Gewalt lösen kann. So fühlt Ihr Kind sich mit seinem Problem verstanden und in seiner bisherigen Lösung der Situation ernst genommen. Gleichzeitig begreift es, dass es stets Lösungen gibt, die höflich und respektvoll sind. Für das spätere Leben ist das ein großer Vorteil.
So kommen Sie in kleinen Schritten weiter
Eine Aufsplittung in Mini-Schritte eignet sich besonders, wenn

  • eine Umgangsform „trainiert“ werden kann wie beispielsweise „Nicht mit vollem Mund zu sprechen“ oder „Messer und Gabel richtig zu benutzen“.
  • Ihr Kind Mühe hat, die Regel zu befolgen. Das gesetzte Ziel überfordert es, löst vielleicht Ängste, Unbehagen und Unsicherheit aus.

Mini-Schritte helfen Ihrem Sohn oder Ihrer Tochter, langsam und behutsam das entsprechende Verhalten zu erreichen und zu integrieren. Beim Erlernen einer neuen Verhaltensweise ist es wie beim Erlernen einer neuen Sportart, z. B. dem Schwimmen: Zuerst klappt es nur mit zwei Schwimmflügeln, dann mit nur einem und irgendwann komplett ohne.
Mini-Schritte: Was es zu beachten gilt

  1. Überlegen Sie, wie Sie ein Lernziel gemeinsam mit Ihrem Kind in kleinen, kindgerechten Einheiten erreichen können.
  2. Die ersten Schritte sollten stets in vertrauter Umgebung stattfinden, damit das Kind sich nicht bloßgestellt fühlt.
  3. Lassen Sie zwischen den einzelnen Lerneinheiten genügend zeitlichen Abstand.
  4. Seien Sie geduldig und machen Sie Ihrem Kind Mut! Loben Sie es, wenn der Erfolg sich einstellt!

-Beispiel: Ein Ziel – viele SchritteZiel: Der achtjährige Till soll nicht mehr in der Nase bohren. Obwohl er es weiß, macht er es unbewusst immer wieder. Vor allem in stressigen Situationen wie bei Familienfesten und dem Besuch von Gästen zeigt er das unerwünschte Verhalten verstärkt.

Mini-Schritte

  1. Jedes Mal, wenn er zu Hause in der Nase bohrt, singen Sie das Lied von „Pinocchio“. Die Holzpuppe mit der langen Nase ist ein Erinnerungsanker. Sie soll Ihren Sohn daran erinnern, seine eigene Nase in Ruhe zu lassen.
  2. Immer wenn Sie das „Pinocchio-Lied“ singen, wird Till darauf aufmerksam, dass er gerade wieder in der Nase bohrt.
  3. Wenn er wieder den Reflex verspürt, in der Nase zu bohren, denkt er jetzt automatisch an Pinocchio und seine Bedeutung. Sie müssen ihn immer seltener ermahnen, die Finger aus der Nase zu lassen.
  4. Wird Ihr Sohn doch noch einmal rückfällig, reicht es jetzt aus, dass Sie – auch in der Öffentlichkeit – ganz kurz „Pinocchio“ sagen.

Das ist für Ihren Sohn auf alle Fälle angenehmer, als immer wieder vor versammelter Mannschaft aufs Popeln angesprochen zu werden. Er kann seine Verhaltensweise ändern, ohne sein Gesicht zu verlieren.

Feiern Sie Erfolge

Feiern Sie auch kleine Erfolge und setzen Sie auf die Strategien, die Ihrem Sprössling entgegenkommen. Folgende Liste hilft Ihnen dabei:

  • Was hat Sie und somit Ihr Kind dem gesetzten Ziel näher gebracht?
  • Worauf hat Ihr Kind besonders gut angesprochen? Was ist ihm leichtgefallen?
  • Was hat es sofort verstanden und beherzigt?
  • Welchen positiven Einfluss hatte die Unterstützung durch die Familienmitglieder?
  • Auf wen hat Ihr Kind bei der Vermittlung der Umgangsform besonders gut reagiert? Wie ist derjenige an die Sache herangegangen?

-Fazit: Loben Sie Ihr Kind für seine Fortschritte! Das spornt es an, auch weiterhin mitzumachen.

 

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